BVerfG kontra Geheimhaltunginteresse des Staats

DÜSSELDORF. Auch geheime Behördenakten müssen im Verwaltungsprozess dem Gericht zugänglich gemacht werden; wenn anders dem Bürger wirksamer Rechtsschutz nicht gewährt werden kann. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe entschieden. Die Vorschrift in der Verwaltungsgerichtsordnung, nach der die Verwaltung die Vorlage sensibler Akten verweigern kann, ist insoweit unvereinbar mit dem Grundgesetz. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2001 Zeit, sich eine verfassungskonforme Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsbedürfnis des Staates und dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz des Bürgers einfallen zu lassen.

Das BVerfG hat damit einer Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen Beschäftigten im öffentlichen Dienst stattgegeben: Dieser hatte nach einer Sicherheitsüberprüfung des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz seine Stelle verloren. Worauf die negative Einschätzung der Verfassungsschützer beruhte, wurde ihm nicht mitgeteilt: Das öffentliche Interesse an einem "funktionsfähigen Geheimschutz" gehe seinem Auskunftsersuchen vor, so die Behörde. Seine Klage gegen diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgericht blieb erfolglos: Das Gericht bekam die Akten des Verfassungsschutzes ebenfalls nie zu Gesicht.

Dies sei verfassungswidrig, so das BVerfG: Damit werde das Gericht an Entscheidungen der Verwaltung gebunden die es ja gerade überprüfen soll. Mit dem Gebot des Grundgesetzes, effektiven Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen zu gewähren, lasse sich dies nicht vereinbaren. Andererseits sei der Zweck der Vorschrift, die Geheimhaltung von sensiblen Vorgängen zu sichern, durchaus legitim. Als Ausweg schlägt das BVerfG vor, dass nur das Gericht, nicht auch die Parteien Einsicht in die heiklen Akten nehmen dürfen. Auf Grundlage dieses "In-Camera-Verfahrens" könne das Gericht entscheiden, ob die Behörde zu Recht die Aktenvorlage verweigert oder nicht. Damit sei der Rechtsschutz gesichert, ohne dass geheime Daten gegen das öffentliche Interesse nach außen gelangten.

Der Bonner Rechtsanwalt und Kommentator der Verwaltungsgerichtsordnung Konrad Redeker hält diesen Vorschlag für "sehr vernünftig": Bereits 1964 habe sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Zulässigkeit des In-camera-Verfahrens" befasst. Bisher sei diese "pragmatische und in den USA schon seit langem übliche Lösung" immer am Wortlaut der Verwaltungsgerichtsordnung gescheitert. Angesichts des Grundrechts auf rechtliches Gehör habe die Rechtsprechung stets Bedenken gehabt, ihre der Karlsruher Beschluss haben werden, lasse sich "im Augenblick noch gar nicht übersehen", so Redeker.

Friedhelm Hufen, Professor für Verwaltungsprozessrecht an der Universität Mainz, nennt das Recht der Behörden, die Aktenvorlage zu verweigern, ein "fast monarchisches Residuum, mit dem das Verfassungsgericht zu Recht aufgeräumt hat " Die Behörden hätten dadurch vielfach die Möglichkeit gehabt, den Ausgang von verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach ihrem Belieben zu steuern: Was immer sie für nicht öffentlichkeitswürdig hielten, hätten sie dem Zugriff der Gerichte vorenthalten können - und dies keineswegs nur bei geheimdienstlichen Daten, sondern auch etwa, wenn es um die Vertuschung von Bestechungsfällen ging. Das darin liegende Missbrauchspotential habe das Verfassungsgericht nun - wie seit langem erwartet-beseitigt. (Recht und Steuern S. 43) Entscheidungen auf Tatsachen zu gründen, die den Parteien nicht of offenbart werden und zu denen sie daher nicht Stellung nehmen können. Dieses Hindernis habe das Bundesverfassungsgericht nun beseitigt, sagte Redeker dem Handelsblatt.

Die praktische Bedeutung der Entscheidung sieht Redeker nicht so sehr in Fällen, wo es um Daten des Verfassungsschutzes geht: "Drei solche Fälle pro Jahr in ganz Deutschland sind schon viel." Die Entscheidung gebe aber den Gerichten viel Macht in die Hand. Sie könne in der Praxis auf Bereiche ausgedehnt werden, wo die Geheimhaltung nicht allein staatlichen Interessen diene: So könne künftig etwa ein Gericht im Streit um die Besetzung einer Beamtenstelle auf den Gedanken kommen, die vertraulichen Personalakten der Konkurrenten im "In-camera-Verfahren" einzusehen -um nur eines von vielen möglichen Beispielen zu nennen. Welche Folgen der Karlsruher Beschluss haben werden, lasse sich „im Moment gar nicht übersehen“, so Redeker. Friedhelm Hufen, Professor für Verwaltungsprozessrecht an der Universität Mainz, nennt das Recht der Behörden, ein „fast monarchisches Residuum, mit dem das Verfassungsgericht zu recht aufgeräumt hat.“

Die Behörden hätten dadurch vielfach die Möglichkeit gehabt, den Ausgang von verwaltungerichtlichen Verfahren nach ihrem Belieben zu steuern: Was immer sie für nicht öffentlichkeitswürdig hielten, hätten sie dem Zugriff der Gerichte vorenthalten können-und das nicht nur bei geheimdienstlichen Daten, sondern auch etwa, sondern auch wenn es um die Vertuschung von Bestechungsfällen ging. Das darin liegende Missbrauchspotential habe das Verfassungsgericht nun – wie seit langem erwartet-beseitigt.

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