Bauernhof mit volkseigener Zufahrt "Kurios"

Von einem Schwaben, der in der Prignitz eine neue Heimat finden wollte

MICHAEL BEESKOW

ROSENNHAGEN: ".... Chaosladen ... Saustall ...", Werner Noppel kann kaum an sich halten. Während er mit rotem Kopf erzählt und schimpft,kommt der Ärger hoch über die verlorenen Jahre. Der Landsmann spricht über seinen Hof, seinen Landwirtschaftsbetrieb, den er selbst als "Chaosladen" bezeichnet. Den Stall, in dem 80 Rinder stehen, nennt er einen "Saustall". Im Winter vor fünf Jahren erwarb der Schwabe ein Gut im Perleberger Ortsteil Rosenhagen (Prignitz), eine einst stattliche Hofstelle und 200 Hektar Feld und Weide. Etwa 300 Hektar konnte er zusätzlich Pachten. Doch nicht die Einrichtung eines modernen Betriebes wurde zu seiner Hauptbeschäftigung, sondern der Streit um eine Zufahrt für drei Doppelhäuser und das Warten auf den Eintrag ins Grundbuch. Der Streit um die Zufahrt für drei Doppelhäuser in Rosenhagen ist leicht erklärlich. Die Bewohner der Häuser sagen, sie seien schon immer über den alten Gutshof gefahren. Dass sei Gewohnheitsrecht, auch wenn Wemer Noppel das Gut gekauft habe.

Permanenter Streit um Wegerechte

Landwirt Werner Noppel kam mit Sack und Pack in den Osten.Der Landwirt sieht das anders. "Das ist Betriebsgelände und da kann nicht jeder drüberfahren, auch wenn das mal so gewesen ist", sagte der Schwabe. Der Streit ließe sich bald beilegen, wenn eine eigene Zufahrt für die Häuser bestünde - so wie es Wemer Noppel beim Kauf von der Treuhand versichert wurde. "Hätte ich gewusst, dass dies nicht der Fall ist, dann wäre ich nie hierher gekommen", meinte der Landwirt. Da WernerNoppel ein "Wessi" ist, wird aus dem Nachbarschaftsstreit gelegentlich eine Art "Ost-West-Konflikt". "Du mit deinem Kapitalistenauto" oder "Dich kriegen wir auch noch dahin, woher du gekommen bist", sind Äußerungen, die er sich im Dorf anhören muss. Dabei fährt kaum jemand in Rosenhagen einen elf Jahre alten Jeep.

Es kommt ihm manchmal so vor, als wenn er für den Unmut, der sich zwischen Ost und West angestaut hat, persönlich herhalten muss. Erst wurde er angezeigt, weil die Hunde auf dem Gelände frei herumliefen. Dann wurden die Tierschützer alarmiert, weil er die Hunde in einen Zwinger sperrte. Mal fährt der Traktor nicht, weil er Zucker im Tank hat. Dann laufen seine Pferde von der Koppel, weil jemand das Gatter geöffnet hat. Für den von den Tieren an Autos angerichteten Schaden hatte Werner Noppel aufzukommen. Als ein Mopedfahrer auf seinem Hof stürzte, wo er nichts zu suchen hatte, sollte er das Krankengeld bezahlen.

Der permanente Streit, so Noppel, sei durch den "Kunstfehler" der Treuhand von vornherein angelegt gewesen. Und dann fügt der Schwabe hinzu: "Ich bin doch nicht gekommen, um in der Woche die schnelle Mark zu machen und im Wochenende wieder in den Westen zurückzufahren. Wir sind mit Sack und Pack in Sie Prignitz gekommen, um eine neue Heimat zu finden."

Was Werner Noppel 1995 nit seiner Unterschrift unter einen Vertrag mit der Treuhand zu kaufen meinte, ist bis heute nicht sein Eigentum geworden. Der Streit um die Zufahrt blockiert die Eintragung ins Grundbuch, und ohne diesen Eintrag kann Werner Noppel nicht investieren. So ist auf dem einstigen volkseigenen Gut der Verfall weiter fortgeschritten.

Da stehen fast nur noch Ruinen, vernagelte Gutsgebäude, eine riesige Scheune mit eingebrochenem Dach. In den langen Flachbauten - einst für Verwaltung und Betriebsküche des volkseigenen Gutes errichtet - und in einem Fabrikgebäude, in dem vor dem Krieg Serum hergestellt wurde, dokumentieren finstere Fensterhöhlen schon von weitem den maroden Zustand der Gebäude.

"Ich hab' bei der Kaufverhandlung gefragt, was mit den Häusern dort sei. Da haben die Herrn der Treuhand mir auf der Karte die Zufahrt gezeigt. Viel konnte ich nicht erkennen. Es war nur eine schlechte Ablichtung. Originale hatten sie nicht. Grundbuch und Katasterunterlagen waren zur Aufarbeitung im Westen. Da haben sie gesagt: 'Sie sehen doch die Markierung für die Wasserleitung und die Masten für's Telefon.' Und da habe ich wirklich geglaubt, dass da eine Zufahrt ist." Inzwischen musste Werner Noppel zur Kenntnis nehmen, dass die drei Doppelhäuser keine eigene Zufahrt haben, dass die Familien schon immer irgendeinen Weg über den Gutshof genommen haben. Jener Weg, der ihm als Zufahrt gezeigt wurde, gilt als unbefahrbar.

Die Art, wie damals von der Treuhand verkauft wurde, kann Werner Noppel bis heute nicht fassen. "Wenn das windige Makler gewesen wären, aber das war doch eine Einrichtung der Bundesrepublik", meint der Landwirt. "Die hatten nicht mal die Unterlagen für den Verkauf richtig vorbereitet; die waren nur am Geld interessiert."

Werner Noppel kommt aus einer kleinen Gemeinde im Stuttgarter Umland. Sein Vater und sein Großvater waren Landwirte und er glaubt, diese Neigung habe er an seine beiden Söhne weitergegeben. "Heute aber ist es fast unmöglich in einem Ballungsraum Landwirtschaft zu betreiben", sagt der Schwabe. Schon in den 50er Jahren habe es in seiner alten Heimat begonnen, dass die Bauern ihr Land verkauften und bei Mercedes arbeiten gingen. 1957 gab die Familie ihren Hof im Dorf auf. Sein Vater richtete am Ortsrand einen "Aussiedlerhof" ein. Doch in den 80ern hatte der Ort den Betrieb wieder "eingeholt". Drei Meter neben der Güllegrube war ein Bürogebäude und ringsum standen Reihenhäuser. Ständig gab es Ärger, weil es stank oder der Mähdrescher abends fuhr.

Über eine Zeitungsannonce kam Werner Noppel auf Rosenhagen. Die Treuhand bot 1992 das vor dem Konkurs stehende volkseigene Gut an. Der Sehwabe schätzt, dass er einer von 50 Bewerbern war. Jede Menge Unterlagen wollte die Treuhand von ihm, einen Betriebsplan, einen Investitionsplan. Schließlich kam er in die engere Wahl. Aber die Verhandlungen kamen nicht voran. Im Sommer '94 sagte die Baugesellschaft, die seinen alten Hof kaufen wollte, er müsse sich entscheiden. Auf die vage Zusage der Treuhand hin dass er gute Chancen habe verkaufte Noppel seine Existenz. "Erst als die Treuhand leute mitbekamen, dass ich Geld auf dem Konto hatte, wurden sie mobil", erinnert sich Noppel. Plötzlich erhielt er einen Anruf: Wenn er noch ein mal 50 000 Mark mehr biete, erhalte er Rosenhagen. "Die wussten, dass ich verkauft hatte. Von einer Sekunde zur anderen stimmte ich zu."

Die Familie "haust" in einem Provisorium

Familie Noppel vor den verfallenen Gebäuden des ehemaligen Gutshofes in Rosenhagen

Doch erst nach weiterer Sturmläufen bis zur Treuhandchefin Birgit Breuel kam er endlich am 1. Februar 1995: zur Übergabe des Gutes Rosenhagen. Eine Woche später folgten Frau Noppel mit dem neun Monate alten Säugling und drei Kindern. Die Familie zog in einen grauen Flachbau ein der einst als Lehrlingswohnheim diente. Was als Provisori um gedacht war - dort "hausen" die Noppels bis heute.

Im Januar fiel für 26 Stunden der Strom auf dem Gut aus. Da die drei Doppelhäuser in der Nachbarschaft bis heute an das alte Umspannwerk des Gutshofes angeschlossen sind, wurde Werner Noppe verdächtigt, er habe den Strom abgedreht. Doch auch seine Familie saß im Dunkeln.

Die von der Stadt Perleberg für dieses Jahr fest zugesagte Zufahrt und eine neue, separate Stromversorgung können nicht realisiert werden - "wegen knapper Finanzen". Noppels Odyssee geht also weiter.